Das waren spannende Spiele in den vergangenen Wochen. Auch dieses Spiel jetzt. Danke an Klinsmann und Co. Da war selbst ich als nur begrenzt Fußballbegeisterter (siehe erster Eintrag am 06.06.06) total mitgerissen. Dieses 3:1 habe ich nach dem Dienst in der Redaktion in Ruhe im heimischen Wohnzimmer genossen.
Die Spannung geht nach dem Spiel weiter. Einer geht. Kahn. Der andere? Bleibt er? Geht er auch? Die Frage ließ er selbst offen. Doch geht es nach dem Publikum, dann ist sie entschieden, und Klinsmann bleibt. Wie auch immer es ausgeht - es ist die letzte Entscheidung der Fußball-WM aus deutscher Sicht. Sie kann eigentlich nur
Klinsmann
heißen. Denn das Team braucht ihn weiter.
Bundesweit ging durch die Presse, dass es für Berliner Polizisten eine Dienstanweisung gibt, die das Flaggezeigen an Dienstfahrzeugen höchst offiziell wie bürokratisch unterbinden soll. "Ham we nüscht von mitbekommen, muss wohl auf dem Dienstweg verschütt jegangen sein" lautet der verschmitzte Polizistenkommentar in der Nähe der Berliner Kastanienallee. Fast trotzig wird dann die Fahne an der Polizeitransportertür nochmal glattgestrichen. "Außerdem", ergänzt eine Kollegin spitzfindig, "ist doch nur das Anbringen von Fahnen außen am Fahrzeug untersagt..."
Diese Dienstanweisung ist schon Korrekt, aber Gott sei Dank gibt es auch hier Menschen, die den Text genau lesen und entsprechend auslegen. Find ich toll...
Stefan Szabo am 09.07.06 11:37
Wir haben gestern ein Polizeiauto mit einem weißen Stück Papier im fenster gesehen, das mit drei waagerechten Linien und der Aufschrift
schwarz
rot
gold
versehen war.
Klasse!
Andrea am 10.07.06 23:40
Zumindest die Berliner widerlegen an diesem Samstagnachmittag all diejenigen, die glaubten, mit der guten Stimmung in Deutschland sei es nun vorbei. Bereits sechs Stunden vor dem Stuttgarter Spiel beherrschen Deutschland-Trikots und Deutschlandfahnen schwenkende Fans das Straßenbild auch fernab der Fanmeile. Sogar in der kleinen Friedrichshainer Seitenstraße, wo mein Hotel liegt:
Heute abend haben Portugal und Deutschland die Gelegenheit, die miserable Torausbeute dieser WM nach oben zu korrigieren - das Festival der Defensive zu beenden. Das Spiel um die goldene Ananas eignet sich dazu bekanntermaßen hervorragend. 1994 fielen vier, 1986 sechs, 2002 immerhin fünf Tore im Spiel um Platz drei.
Auf Dauer bräuchten wir also nur noch "kleine" Endspiele, um endlich wieder Offensiv-Fußball sehen zu können. Oder eine Regeländerung. Von der Vergrößerung der Tore halte ich nicht viel. Es würde lediglich mehr Fernschussversuche geben.
Was aber halten Sie von folgender Idee? Tore, die innerhalb des Strafraums erzielt werden, zählen doppelt. Jeder Stürmer würde es versuchen und den entscheidenden Schritt mehr tun - und kein Team könnte sich nach einer 1:0-Führung hinten rein stellen - das Risiko wäre zu groß, in der letzten Minute noch ein Tor zu kassieren - aus einem 1:0 würde ein 1:2.
Sorry, Kollege, aber darf man dem "Kaiser" widersprechen? ;-)
Im sid-Interview sagte Franz Beckenbauer: "Das ist kein Spiel um die Goldene Ananas, wie zu lesen war. Diese WM im eigenen Land, mit dieser jungen Mannschaft als Dritter zu beenden, wäre ein wahnsinniger Erfolg. Und sich dann
am Sonntag auf der Fanmeile in Berlin zu verabschieden: Das, genau das ist das richtige Symbol und die richtige Geste, die ausdrückt, was hier in vier Wochen entstanden ist: Mut, Zutrauen, Optimismus, Solidarität und Dankbarkeit."
Wolfram am 08.07.06 18:30
Vor einigen Tagen haben wir ja an dieser Stelle darüber diskutiert, wie unterschiedlich sich doch die Teams zum Mannschaftsfoto aufstellen. Und was man daraus für’s Spiel ableiten kann. Da fällt uns in dieses Bild aus Rom in die Hände. Auf einem Plakat am dortigen Flughafen posieren leicht bekleidet und eingeölt (oder verschwitzt) unter anderem die WM-Stars Fabio Cannavaro, Gennaro Gattuso, Andrea Pirlo und Gianluca Zambrotta (Foto rechts). Sehen so Weltmeister aus? Das überlasse ich Ihrer Fantasie.
Nun aber zum Gegner. Vorbildliches Teamfoto von den Franzosen!
Nur: Warum fassen sich alle an, außer Zidane (Foto, oben links)? So viel Respekt vor dem Star? Traut sich niemand? Oder ist der Kapitän gar unbeliebt? Nein, vielleicht gibt es einen anderen Grund, vielleicht haben Sie es im TV schon beobachtet: Zinedine Zidane schwitzt enorm, schon nach dem Warmlaufen…
Wahnsinn und kein Ende: Das Stuttgarter Quartier der deutschen Nationalmannschaft befindet sich weiterhin im Belagerungszustand. Zwar sind es nicht mehr Tausende, aber doch mindestens 1.000 Anhänger, die die deutschen WM-Helden hochleben lassen. Und das ist nur die Ouvertüre zur wohl größten Fan-Party aller Zeiten am Sonntag in Berlin. Dort werden bis zu einer Million Menschen erwartet. Wahnsinn ohne Ende eben.
Ein bisschen Wahnsinn kann uns Deutschen nur gut tun.
Christian am 08.07.06 20:39
Carsten, einer meiner beiden WM-Herbergsväter in Berlin, machts`s richtig: Schon jetzt hat er die Weichen gestellt, um auch beim nächsten Mal ganz nah dabei zu sein, wenn Deutschland erneut nach dem Pokal greift. Seinen Job in Berlin hat er gekündigt, im Herbst geht`s nach Kapstadt, wo er dann als Betriebswirtschaftler bei einer Nonprofit-Organisation arbeiten wird. Und wenn alles klappt, wie er es sich vorstellt, will er in Südafrika bleiben - zumindest bis 2010.
PS: Heute morgen, während Dirk und ich am Frühstückstisch nochmal die zurückliegenden vier Wochen Revue passieren ließen, machte sich Carsten im Auftrag eines Freundes auf den Weg in ein Berliner Nobelhotel. Dort drückte ihm ein joggingbehoster Ebay-Kunde ohne mit der Wimper zu zucken 850 Euro für eine Finalkarte in die Hand. Wer soviel Geld für 90 Minuten Fußball ausgibt, muss verrückt sein - oder, wie in diesem Fall, Engländer...
Immer wieder höre ich die Kommentatoren fragen, ob sich die deutsche Elf wohl noch motivieren könne für das "kleine Finale", auch "Spiel um die Goldene Ananas" genannt. Dazu kann ich nur sagen: Sollen sich alle mal Bilder wie dieses ansehen!
Es ist die "Klinsmania" ausgebrochen in Deutschland. Und in Stuttgart, seiner alten Heimat, sowieso! Die Begeisterung um unseren Bundestrainer und seine Spieler - egal ob sie nun Klose, Podolski, Lehmann, Kahn oder Odonkor heißen, egal ob Stamm- oder nur Reservespieler - ist ungebrochen. Und ein Ende ist nicht in Sicht!
Dass die Mannschaft bröckelt, dass heute nicht alle Stammspieler im Gottlieb-Daimler-Stadion auflaufen werden, wird der Sache keinen Abbruch tun. Jedenfalls dann nicht, wenn die Elf wieder so kämpft und so eine Spielkultur zeigt wie im bisherigen Turnier. Und das wird sie. Denn sich zu motivieren, kann angesichts solcher Bilder nun wirklich kein Problem sein!
Gibt es ein Leben nach der WM? Ich weiß es nicht. Ich ahne zumindest Schlimmes. Das Ausscheiden der deutschen Mannschaft hat wenigstens dazu geführt, dass wir langsam an das Ende herangeführt werden. Das ist aber auch das einzig Gute. Ich weiß, es klingt vielleicht albern, aber ich gebe es trotzdem zu: Ein bisschen steckt mir das Halbfinal-Aus immer noch in der Seele. Zumal ich immer wieder höre, Italien soll in der Verlängerung die klar bessere Mannschaft gewesen sein, mit den klar besseren Chancen.
So bewegend war die WM (2:10 min) |
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Gemeinsam
Aber jetzt Schluss mit der Selbstquälerei. Woran ich immer denken muss, sind die wunderbaren Szenen, die ich hier in Nürnberg und bei meinen fußball-touristischen Ausflügen nach Dortmund und Berlin miterleben durfte. Ein paar davon habe ich im unten verlinkten Video zusammen gestellt. Sie sind auch der Grund, warum ich immer noch nicht glauben kann, dass das alles schon vorbei sein soll. Japaner, Kroaten und Ghanaer lagen sich in den Armen. Holländer feierten auf dem Hauptmarkt eine gewaltige orange-farbene Party, und, und, und.
Aber noch ist es ja nicht vorbei. Zwei Tage haben wir noch. Danach sehen wir weiter.
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Während sämtliche Kollegen inzwischen wohl in Berlin sind, verbringe ich den Tag heute (und ein Stück von morgen auch) in Höckendorf. Das klingt wie tiefste Provinz, und darauf läuft es auch hinaus. Gelegen "zwischen Tharandter Wald und Osterzgebirge" , sagt zumindest die Touristen-Website der Gemeindeverwaltung, sehr idyllisch - aber weiter entfernt (auch gefühlsmäßig) kann man weder von Berlin noch von Stuttgart sein.
Was verschlägt mich nach Höckendorf? Mein Bruder feiert seine Hochzeit hier...
Wie hätte ich noch vor vier Wochen gelästert über Männer, die sich bei Familienfeiern oder anderen wichtigen Angelegenheiten heimlich rausstehlen um sich schnell im Autoradio oder auf dem Mini-Fernseher an der Hotelrezeption auf den letzten Spielstand zu bringen...
Heute habe ich wirklich ein Problem.
Während die Ära Kahn hoffentlich mit einem Freudenfeuerwerk zu Ende geht, führe ich durchs Festprogramm, kündige den Comedy-Act des Trauzeugen an und versuche die Väter von langen Tischreden abzuhalten. Vielleicht werde ich so tun, als würde ich über den Knopf in meinem Ohr nicht Radio hören, sondern wichtige organisatorische Dinge abklären. Ansonsten baue ich auf die Damen und Herren an der Rezeption... die haben ja wohl hoffentlich einen Fernseher.
Es hat geklappt, diese Nacht lasse ich mich als Fan „hosten“. Gleich nach meiner Ankunft in Berlin habe ich mich auf eines der zahlreichen Last-Minute-Angebote für eine Fußball-WM-Privatunterkunft gemeldet. Wenig später nehmen mich Carsten und Dirk an der Tür ihrer Ostberliner Altbauwohnung "in the heart of Prenzlauer Berg" in Empfang. Die Beschreibung
„The flat is in a great old building whereas the flat itself is renovated with much love for the detail.“
klang nett und hatte mich bei der Internetsuche überzeugt, auch wenn
das Konkurrenzangebot einer Westberliner WG
fast noch verlockender klang („In der Küche steht ein KICKERTISCH in sehr gutem Zustand.“). Jetzt sitze ich in meinem gut 20 qm großen Zimmer, in dem noch vor wenigen Tagen drei Schwedenfans gewohnt haben: Gebürtige Chilenen aus der schwedischen Provinz, die im Glauben nach Berlin kamen, ein ganz normales Hotel gebucht zu haben. „Als ich, vom Abend zuvor noch ziemlich verstrahlt, die drei am Flughafen abholte“, erzählt Carsten, „wurden die erstmal ganz schön nervös“.
Ribbeck, Rudi, das Lastminute-Tor gegen Polen, positiver Patriotismus und der von uns dreien parallel live im Dortmunder Stadion erlebte Schockzustand in der 119. Minute – in nicht einmal 30 Minuten, die wir zusammen vorm Fernseher fachsimpeln, tauschen wir uns über die wirklich wichtigen Dinge im Leben aus. „Ist ein bisschen so, als wenn einen die Freundin verlassen hat“ zieht Dirk sein Resümee der vergangenen drei Tage.
Wirklich schade, dass ich mich für die kommenden zwei Nächte schon vor längerer Zeit im Hotel eingebucht habe.
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