Genau wie Jürgen Klinsmann hatten auch wir Hinterhof-Gucker die ersten beiden deutschen Vorrundenspiele genauestens analysiert, um bestens gewappnet ins letzte Spiel gehen zu können. Allerdings haben wir nach der Auswertung ganz andere Schlüsse gezogen, als der Bundestrainer, so zum Beispiel:
Wir müssen den Rasen mehr schonen, wenn das frisch gesäte Grün noch das Finale erleben soll. Außerdem: Vier Wochen lang Bratwurst ist auf die Dauer ungesund und langweilig. Um dieser einseitigen Ernährung vorzubeugen, kam heute das erste Mal eine selbstgebackene Deutschlandtorte zum Einsatz. Und auch eine gewisse Struktur in der Kühlschrankbefüllung kann hilfreich sein (wie das Foto beweist) Darüberhinaus steigt der weibliche Zufriedenheitsquotient, wenn zusätzlich liebliches Trendbier ausgeschenkt wird. Dass allerdings mein Bratwurst- und Wurstverbrauch jetzt ebenso öffentlich wie tagesaktuell anhand einer Balkentabelle ablesbar und mit dem der Resthausbewohner vergleichbar ist (Danke Falk, Danke Excel!), entzückt mich irgendwie nicht wirklich.
Deutschland gucken war natürlich wieder im heimischen Hinterhof angesagt. Aber vorher hab ich kurzentschlossen gegen 15 Uhr noch beim Kölner Dom angerufen, um einen ungewöhnlichen Blick auf den Roncalliplatz, einen von drei offiziellen Viele-Leute-Gucken-Fußball-Orten, werfen zu können.
Wie schon in der Vergangenheit waren die Mitarbeiter der Kölner Dombauhütte so nett und flexibel, dass ich schon eine gute halbe Stunde später im Lastenaufzug nach oben gefahren wurde. Dann einmal quer durch die verschlungenen Winkel und Wege oberhalb des Deckengewölbes. Am Ziel angekommen war der Blick fantastisch und die Stimmung gut hör- und wahrnehmbar - aber erstens fehlte da oben ein Fernseher und zweitens ist es daheim dann doch schöner. Also schnell wieder aufs Rad geschwungen, an den David-Beckham-Polizeisperren vorm Kölner Luxushotel vorbeigeschlängelt und passend zum Anpfiff zuhaus gewesen. Nationalhymne hab ich zwar verpasst, aber wenn unsere Jungs so weiter spielen, höre ich die ja noch öfters...
PS: (Das doofe Wort "Public Viewing", so habe ich beschlossen, wird aus meinen Texten ab sofort verbannt. Über Vorschläge für schöne Alternativwörter wäre ich dankbar)
öffentliche Lifeübertragung
Susi am 20.06.06 21:28
Mir gefällt dieser Ausdruck auch nicht. Wie wär's mit "Gemeinschaftsgucken"?
Matthy aus Irland am 21.06.06 09:59
Massenfernsehen
Christian aus Paris am 21.06.06 14:55
Mit-alle-Mann-Fussball-Gucken
mecker am 27.06.06 16:46
Fußball beherrscht alles. Auch das Straßenkabarett. Diese Zwei wagten es, vor dem Leipziger Augustusplatz die Fußballbegeisterten auf den Arm zu nehmen. Nur Publikum fand sich nicht.
Die Lehre daraus: Über Fußball wird eben nicht gelacht. Sondern nur beim Fußball ......
Großartig!
Das Ergebnis hat zwar meinen Tipp versaut, aber das war es wert.
Auch wenn man es auf diesem Foto nicht so deutlich sieht: Die drei Tore von Deutschland gegen Ecuador wurden mit großem Jubel gefeiert!
Hmmm, sieht man wirklich nicht so deutlich ...
Frigo am 20.06.06 20:20
Ja, auch das ist die WM:
Feier und Freude auf der Straße. Armut und Alkohol am Straßenrand. Nicht immer siegt die Freude. Dieser Mann war kurz vor dem Anpfiff Deutschland – Ecuador zusammengesackt. Zuviel Bier, zu wenig Geld. Fans versuchten zu helfen, später kam der Krankenwagen. Das 3:0 hat der Mann vom Straßenrand wohl kaum mitbekommen.
Nicht dass Sie denken, das Leben als Sportredakteur während der WM ist immer ein Leben voller Annehmlichkeiten: Deutschland brennt gegen Ecuador bisher ein Fußball-Feuerwerk ab, im benachbarten Biergarten - Luftlinie etwa 100 Meter, der Jubel der feiernden Fans dringt durchs Fenster bis ins Büro - flimmert das Spiel über die Großleinwand. Aber eben genau jene 200 Meter weiter herrscht Büroalltag, Deutschland kickt auf dem hochmodernen Redaktionsfernseher in der Sportecke, geschätzte Bildschirmdiagonale etwa 30 Zentimeter. Dank Bildbearbeitungsprogramm gewinnt der Kompaktfernseher dennoch den Größenvergleich in der Gegenüberstellung.
Was soll's, Handyfernsehen soll ja angeblich groß im Kommen sein :-)
Nicht nur die Engländer, nein, auch die Schweden haben in Köln ihr Lager aufgeschlagen - genauer gesagt ihr Zeltlager.
Am Aachener Weiher, wo sich sonst Kölner Studenten in der Sonne räkeln und Hobby-Trommler ihr "Können" präsentieren, ist heute gelb-blaue Eintracht zu sehen und laute schwedische Pop-Musik zu hören. Mehrere tausend skandinavische Fans beleben den angeschlossenen Biergarten, der dieses Schwedenlager möglich gemacht hat.
Josef Reyes, Inhaber des Biergartens am Aachener Weiher, erklärt: "Schwedische Fans haben mich per Email kontaktiert und gefragt, ob so ein Lager hier möglich wäre. Nach Rücksprache mit der Stadt Köln haben wir die Sache in Angriff genommen. Alles ist friedlich, die schwedischen Anhänger sind sehr angenehme Gäste."
In der Tat, die Stimmung ist ausgelassen. Es wird bereits vormittags beim Kicken ein erstes Bier verzehrt, die Kriegsbemalung angelegt oder sich einfach nur warmgesungen (Audio als mp3) ...
Das Gute ist, der Spaß ist für die angereisten Fans kostenlos, lediglich Speisen und Getränke müssen bezahlt werden. Am Donnerstag wird dieses Zeltlager in Kölns Mitte allerdings wieder verschwunden sein - es wurde exklusiv für das Schweden-England-Spiel eingerichtet.
In der Redaktion von hr-online steigt die Spannung. Meine Kollegen erledigen eifrig die letzten wichtigen Aufgaben vor dem Anpfiff. Gleich geht's los ...
Und wie schaut es mit den Jubelschreien aus? Gibt es ein Video? ;)
Frederic Schneider am 20.06.06 17:03
In den Niederlanden hat es Tradition, kleine Hunde, Meerschweinchen und andere kompakte Haustiere, die sich nicht wehren können, orange anzumalen. Fan-Kult eben, allen Klagen und Wehrufen von Tierschützern zum Trotz. Zweifelhafte Vorbildfunktion hin oder her, in Bayern dachte man sich: Das können wir doch auch. Nur eine Nummer größer.
Opfer einer zweifelhaften PR-Aktion: Kuh "Tulpe", die von einem Münchner Malermeister schwarz-rot-gold eingefärbt wurde - mit hautverträglicher Farbe immerhin. Bis zum Abend soll sie so friedlich neben der Autobahn am Irschenberg grasen, dann geht's unter die Dusche. Kein Wunder eigentlich, dass sich "Problembär" Bruno alias "JJ1" gerade wieder einmal ins Unterholz verkrümelt hat und unauffindbar ist - und vermutlich ein Nickerchen macht. Ganz ohne schwarz-rot-gold.
Nachtrag: Fallls Sie mit dem Begriff "Problembär" nichts anfangen können - eine Erklärung vom StoiBär :-)
Normalerweise wird es ja erst im Dezember bekanntgegeben. Aber – tattattattaaaaa – wir haben es schon heute exklusiv. Das „Wort des Jahres“ heißt in diesem Jahr „Public Viewing“.
„Die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache begründete die Wahl mit der ungewöhnlich großen Anziehungskraft der öffentlichen Liveübertragungen während der Fußball-WM in Deutschland, die viele als positives Gemeinschaftserlebnis erlebt hätten, und das ungeachtet ihrer Herkunft.“
So könnte es kommen. Zu toppen wäre das nur noch von „Wir sind Weltmeister“. Aber so weit sind wir noch lange nicht.
Über 3.710.000 Treffer für "Public Viewing" bei Google sprechen dafür.
mario am 20.06.06 22:10
Na, Wolfgang, da will ich mal hoffen, dass "Public Viewing" NICHT zum "Wort des Jahres" wird. Sonst lacht wirklich die ganze englischsprachige Welt über uns Deutschen. Warum? --> siehe mein Blog
Gruß
Frank
Frank am 25.06.06 00:51
Es war ein schöner Start heute in den Tag: Sonne, Sommer, sorgenfrei..... Der Weg in die Redaktion machte einfach Spaß. Und der Blick aus der 13. Etage des MDR über Leipzig zeigt: Keine Wolken trüben den Tag. Hoffentlich bleibt das so. Auch nach dem Spiel um den Gruppensieg. Gefeiert wird dann zu Füßen des großen Hauses in der Mitte - egal, wer siegt. An dem Haus steht übrigens oben MDR dran - doch es ist nicht der MDR - abgesehen vom Sinfonieorchester in den ersten Etagen -, sondern eine gute Werbeaktion.
Die Engländer sind in der Stadt, voller Hingabe für ihr Team. Eine Kostprobe gefällig, wie sehr die Jungs von der Insel auch zu Hause ihre Clubs unterstützen?
Der elfte September 2002 ist immernoch ein besonderes Datum für jeden Manchester-City-Fan. Das letzte Derby gegen den Erzrivalen Manchester United im Stadion an der Maine Road, der wahren Heimat der "Citizens". Nach diesem Spiel zog Manchester City in die neue Spielstätte das "City of Manchester Stadium" um.
Auch für Gareth (32) war dieser Tag ein ganz besonderer. Shaun "Goat" Goater schoss seine "Citizens" zum historischen 3:1-Sieg.
Gareth ließ sich daraufhin die Namen der Startelf und des Trainers Kevin Keegan auf seine rechte Wade tättowieren - außerdem ein Banner, auf dem "We beat the Scum", wir haben den Abschaum besiegt, steht.
Hoffentlich läuft er dieser Tage nicht zufällig in eine Gruppe United-Fans.
Die Abschlusstrainingseinheit vor den Spielen der deutschen Elf - für meine Kollegen und mich beginnt sie stets als Zitterpartie. 15 Minuten dürfen wir Journalisten dabei zuschauen - wenn wir es denn rechtzeitig in den Stadion-Innenraum schaffen. Denn vor die Berichterstattung hat die FIFA den Steward (neudeutsch für Ordner) gesetzt. Und einige dieser Damen und Herren leben einen geradezu bizarren, blinden Gehorsam aus.
Gestern war's mal wieder soweit. Tatort diesmal: das Berliner Olympiastadion. Drei Kontrollen habe ich dank meiner sichtbar am Hals baumelnden Akkreditierung (mit Foto!) passiert. Unmittelbar vor dem ersten Zugang zum Stadion-Innenraum kommen zwei jungen Ordnerinnen erste Zweifel, ob sich die Kollegen nicht doch geirrt haben könnten, als sie mich passieren ließen. Ratlos starren sie auf meine Akkreditierung. Das Präludium verlangt geradezu nach einer Arie. Ich bekomme sie. Während die Mädchen sich in Verschwörermanier beratschlagen, öffne ich einfach schon mal die Stahltür zum Treppeneingang. Verzweifelte Augen blicken mich an. Sechs Kollegen scheinen Einzug in den Vorhof zur Hölle gehalten zu haben. Ein hünenhafter Steward will - irgendwo von oben - den Befehl erhalten haben, keinen Journalisten ins Stadion zu lassen, ehe der Mannschaftsbus vorgefahren ist. Und natürlich ignoriert er den Hinweis, dass am Spielfeldrand schon rund 100 Kollegen postiert sind.
Revolution liegt in der Luft. Der Befehlsempfänger beruft sich, hektisch telefonierend, auf Befehlsnotstand. Wir berufen uns auf den gesunden Menschenverstand und lassen ihn einfach stehen. Ich sehe uns schon in einer kargen Zelle landen, doch zu meiner Verblüffung werden wir nicht vor ein Schnellgericht gestellt. Auch nicht der Kollege, der nach(!) dem Training höchst unwillig eine erneute Taschenkontrolle über sich ergehen lassen muss. Was könnte der bloß gestohlen haben: den deutschen Einzug ins Achtelfinale?
Geil,
ich dachte immer, das geht uns Journalisten nur bei Konzerten so (Bin Konzertfotograf)
Na, das beruhigt mich ja ein bissel, dass es auch beim Fußball solche "Hundertprozentigen" gibt *g*
Bartzsch am 20.06.06 14:00
Lieber Frank,
ich hatte vor bei meiner Hochzeit einige dieser Stewards einzustellen. Aber da du beruflich in Berlin und nicht in Düsseldorf, bzw. Meerbusch warst, habe ich die netten Herren in die Hauptstadt geschickt :D
Ist es nicht wie bei jeder Großveranstaltung!? Diese Menschen bekommen einen traurig geringen Lohn für eine eigentlich unwürdige Arbeit. Bei der Höhe der Entlohnung ist leider der Preis für Denkarbeit nicht inbegriffen. Aber vielleicht wäre das ja mal ein Ansatzpunkt. Schließlich wäre die schönste WM ein Witz, wenn es keine Journalisten gibt, die darüber berichten können, weil ihnen der Zugang permanent verwehrt wird.
Ich erinnere mich da gerne an die Eröffnung des Metro Future Store in Rheinberg, wo die Bodyguards von Claudia Schiffer, die den Zukunfts-Supermarkt eröffnete, alle Fotografen und Journalisten als Paparazzi missverstanden hatten. Wir Journalisten hielten zusammen und drohten mit einem kollektiven Bericht-Boykott. Da leuteten plötzlich die Alarmglocken bei der Presseabteilung und man zeigte sich plötzlich sehr hilfsbereit gegenüber denjenigen, die zuvor noch als "blöde Wxxxx" beschimpft wurden. Es ist aber immer schade, dass eine schöne Veranstaltung wegen solcher Unfähigkeit immer einen faden Beigeschmack bekommt.
Daniel Meffert geb. Thywissen :D
jetzt heiße ich Daniel Meffert am 21.06.06 11:11
ich unterstelle ja seit eh und je einen direkten Zusammenhang zwischen dem nagenden Gefühl innerer Kleinheit und der Vorliebe für Tätigkeiten, die darauf abzielen, für Recht und Ordnung zu sorgen - egal, wie bestusst die zugrunde Logik auch sein mag.
Danke für diesen köstlichen Beitrag :-)
Jivan Abadha am 21.06.06 12:04
Wird es eine Verlängerung geben oder nicht? Schon beim letzten Deutschlandspiel war die Fanmeile in Berlin einfach nicht lang genug für alle Fans und musste geschlossen werden, weil 500.000 Menschen gerade dort das Spiel sehen wollten. Angesichts der für das Spiel gegen Ecuador erwarteten Massen sollte die Party-Meile um 500 Meter verlängert werden, inclusive einer zusätzlichen Großbildleinwand.
Vor zwei Tagen hieß es dann aber vom Berliner Senat, eine Verlängerung sei nicht drin, der Kreisverkehr am Großen Stern solle in jedem Fall offen bleiben.
Stattdessen sollten die Fans auf dem Gelände "günstiger verteilt" werden. Wie genau man sich das vorstellen soll, dazu gab es keine Angaben.
Ich bin jedenfalls gespannt was heute in Berlin abgeht, und eigentlich interessiert die Fanmeile diesmal auch lange nicht so sehr, wie das, was hoffentlich im Olympiastadion passiert... und dafür machen sich die ersten Fans, wie man sieht, schon am Vormittag warm...
Um seine Schweizer Mannschaft zum Sieg zu bimmeln, hat sich auch Bert auf den Weg nach Dortmund gemacht. Zu einem Blitzbesuch ist der Schweizer Bauer um 7 Uhr nach Nordrhein-Westfalen aufgebrochen, erst eine halbe Stunde vor Anpfiff konnte er das erste Mal mit seiner Glocke im Stadion bimmeln. Und um Mitternacht geht es schon wieder zurück in die Heimat, schließlich müssen die 20 Milchkühe daheim versorgt werden. Einer von ihnen wird inzwischen womöglich vor Kummer die Milch sauer, denn die dicke Glocke in Berts Händen baumelt eigentlich um den Hals von Kuh Selma.
Ein Klick, und schon bimmelt Selmas Glocke (mp3 audiofile)
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