Nur mal angenommen, ich würde eines meiner WM-Tickets verlieren, womöglich kurz vor Spielbeginn, in unmittelbarer Umgebung des Stadions (was mir Schussel durchaus passieren könnte). Und dann wäre derjenige, der das nicht personalisierte Ticket finden würde, so ehrlich, es beim Lost&Found-Schalter abzugeben. Ich aber würde mir denken: "Ticket verloren? Na egal, dann guck ich mir das Spiel halt zuhause vorm Fernseher an."
Sowas passiert nicht? Die Helfer im Dortmunder FIFA-Fundbüro sagen, das käme an jedem WM-Spieltag mehrfach vor. Ansonsten sind es vor allem Handys und Ausweise aus aller Herren Länder, die im kleinen Pavillon vorm Dortmunder Stadioneingang vorübergehend eine neue Heimat gefunden haben. Immer wieder gibt es von dort aber auch Erfolgsgeschichten zu vermelden: Zum Beispiel, wenn sich bei einem zu Recherche-Zwecken getätigten Anruf am anderen Ende plötzlich jemand in Trinidad meldet. Wenig später konnte der glückliche, in Deutschland weilende Besitzer ermittelt werden und selbst wieder nach Hause telefonieren.
Eigentlich fast ein Wunder, dass ich nach 45-minütigem "Hopp schwiiz" um mich herum, unterlegt mit penetrantem Kuhglockengebimmel noch mein Handy gehört habe, welches mir zum Pausenbeginn den Eingang einer neuen SMS mitteilte: "Goellner sitzt gelb" hieß es darin kurz und bündig, verbunden mit der Aufforderung des Hinz, mich genau dorthin zu bewegen. Dumm nur, dass ich "blau saß". Denn das bedeutete, von der blauen zur gegenüberliegenden gelben Tribüne einmal rund ums Stadion joggen zu müssen. Bei einer gefühlten Luftfeuchtigkeit von annähernd 100% in verbleibenden 11 Minuten Pause kein wirkliches Vergnügen.
Aber was tut man nicht alles, um die verschwitzten Kollegen Göllner und Hinz beim gemeinsamen Stadionbesuch in die Arme schließen zu könne. Und wie herrlich erst der Augenblick, als ich abgehetzt am Ziel ankam, um dort vom Kollegen Göllner telefonisch zu erfahren, dass Kollege Hinz sich in den Farben vertan habe. In Wirklichkeit war nämlich der grüne Sektor Treffpunkt - in Steinwurfweite von meinem eigenen, blauen Sitzplatz. Erfreulicherweise betätigte sich der Kollege Göllner dann als Auftragswürger.
P.S.: Falls Sie jemals das Vergnügen haben sollten, mit dem Kollegen Hinz im Auto an der Ampel zu stehen: Glauben Sie ihm bloß nicht, sollte er Sie mit einem "Grüner wird`s nicht!" zum Losfahren animieren.
Ich glaube da mußt du schon doller würgen. Auf nach Berlin - Deutschland wird Weltmeister !
Andreas Royer am 19.06.06 23:31
Herrliche Bilder, Kollegen! Wäre gerne dabei gewesen - allerdings nicht beim Joggen. Ihr kennt mich ja ;-) Grüße von Eurer Fiona Flanke!
Fiona Flanke am 20.06.06 11:45
Gefühlte 80.000 Schweizer waren am Montagnachmittag im Dortmunder Stadion. Vermutlich das größte Schweizer Heimspiel aller Zeiten. Und Kollege Hinz (Foto, links) und ich haben uns in der Halbzeit gefragt: Was macht so ein kleines Land, wenn alle Bewohner einen Tag weg sind?
Da fahre ich - nichts böses ahnend - nach Dortmund, und wen sehe ich da? Sie wissen es längst, der Fotobeweis lässt keine Zweifel zu: Blog-Kollege Sebastian "Flitzer" Göllner hat die sicheren und heiligen Hallen der Redaktion in Köln verlassen und sich zum ersten Mal unter die Zuschauer in einem WM-Stadion gemischt.
Die Schweiz zu Gast in Deutschland. Die Züge sind überfüllt und es scheint, als wollten alle Eidgenossen gleichzeitig und bloß für einen Tag nach Deutschland. Auf Nachfrage bestätigt sich der Verdacht. Die meisten Fans kommen lediglich für das Togo-Spiel nach Dortmund und reisen noch am selben Tag wieder ab.
Priska (30) und Fabienne (24) sind gestern um zehn Uhr abends in Luzern losgefahren und heute morgen um halb acht in Dortmund angekommen. Nach dem Spiel, um halb sieben ging's wieder auf die Heimreise.
Urs Gribi (vorn rechts) ist mit seiner Herrenrunde aus Basel heute um sechs Uhr früh aufgebrochen. Mittagessen, Spiel ansehen und zurück. Bei einer gepfegten Partie "Jass" reist es sich anscheinend recht bequem (Audio als mp3).
Für Carmen (28) aus der Region Solothurn ist für das Schweizer Team "nach dem Achtelfinale alles möglich". Sie ist vorsichtshalber bereits am Tag zuvor nach Dortmund gekommen und hat die Nacht im Hotel verbracht.
Jungs wir würden auch länger bleiben wenn wir Karten kriegen würden für mehr als ein Spiel. Sorry.
cyou am 19.06.06 22:53
Irgendwie bin ich aus dem Rhythmus. Nachdem ich zuvor fast alle Spiele gesehen habe, war ich am vergangenen Wochenende so gut wie fußballfrei. Zwei runde Geburtstage galt es zu feiern; von den sechs Spielen am Samstag und Sonntag habe ich deshalb nur eineinhalb sehen können. Ganz schön hart!
Samstag: Frankfurter Kranz statt Frankfurter WM-Arena beim 80. Geburtstag der Tante im Seniorenheim. Mit Portugal gegen den Iran verpasse ich zwar kein Brüllerspiel, aber ein paar Infos hätte ich schon gern. Doch kein Fernseher weit und breit. Die pure Haftverschärfung!
Auf der Fahrt zur nächsten Feier dann Tschechien gegen Ghana im Autoradio. Dank Manni Breuckmann kann ich mir die Tore wenigstens vorstellen. Später läuft Italien gegen USA zwar auf der Gartenparty. Doch erstens ist die Hausantenne des Mini-Fernsehers viel zu schwach, und zweitens rennt ständig jemand durchs Bild. Mist.
Sonntag: Während Japan gegen Kroatien spielt übernehme ich den „Fahrdienst“ zum Bahnhof. Na ja, nicht viel verpasst. Und nach dem Brasilien-Spiel muss ich schon wieder auf die Autobahn… auch vom Frankreich-Spiel sehe ich also keine Live-Bilder. :-(
Schon verrückt, wie schnell man sich an diesen Rhythmus mit drei Spielen pro Tag gewöhnt hat. Und ich kann erahnen, wie es uns allen ab dem 10. Juli ergehen wird…
Hier - ausnahmweise - ein Gastblogger aus dem MDR: Eric Markuse.
Haben Sie den Spiegel gelesen? Der freut sich in dieser Woche darüber, dass in Deutschland die Menschen fröhlich sind und sogar darüber, dass viele zur Fußball-WM ganz selbstverständlich Flagge zeigen. Und das, obwohl der Spiegel nicht gerade im Verdacht steht, Deutschland-Euphorie zu verbreiten. Sogar ausländische Journalisten kommen zu Wort und erklären den Spiegel-Lesern (und Redakteuren?), dass der Deutsche an sich weder hässlich noch unfreundlich ist und sogar feiern kann.
Auf ihrer Rundreise landen die Autoren auch in Leipzig - und bedienen sich gleich wieder ihrer üblichen Klischees. Beispielhaft für die Ausgelassenheit in Ostdeutschlands einziger WM-Stadt beobachtet das Hamburger Nachrichtenmagazin nicht etwa einen Herzchirurgen, eine Verkäuferin, einen Unternehmer oder eine BWL-Studentin beim Fröhlichsein auf dem Leipziger Fan-Fest, sondern - man ahnt es - einen Hartz-IV-Empfänger. Der den Platz sonst nur von der Montagsdemo kennt. Und der auch noch krank ist, eingefallene Wangen hat und einen wildwuchernden Vollbart. Dieser Mann hat sich tatsächlich eine Tröte gekauft, um mit halber Lunge für Deutschland zu blasen. So sieht es also aus in Leipzig, glaubt man dem Spiegel. Zitat: "Im Jubel lösen sich auch Gegensätze zwischen Ost und West auf, indem sich mancher im Osten plötzlich als Bundesbürger erkennt" - soso.
Als Kontrast zur Spiegel-Wahrnehmung empfehle ich Fan-Videofilme von der tollen Stimmung in der Stadt, die bei MDR.DE eingegangen sind.
Zwischen den Spielorten hin- und her zu wechseln ist gar nicht so einfach, wenn man nicht wie Franz Beckenbauer per Hubschrauber überall hin chauffiert wird. Eine Freundin wollte letztens von Bonn nach Leipzig und musste feststellen, dass alle Züge ausgebucht waren. Kein Wegkommen. Also war ich dankbar, als ich gestern im ICE von Berlin nach Leipzig sogar ohne Reservierung noch einen Sitzplatz bekam.
Total verrückt, was in der Leipziger Innenstadt abging, so viele (und so ausgelassene) Südkoreaner habe ich noch nie gesehen. Umso schöner finde ich, dass hier auch richtige Relax-Zonen für abgespannte Fans oder weniger Fußball-Verrückte eingerichtet sind. Direkt hinter der Oper, nur ein paar Schritte vom brodelnden Fanfest auf dem Augustusplatz, konnte man deshalb auch so etwas sehen:
Heute morgen auf dem Weg zum Bahnhof dann noch dieses Bild:
Entweder gab es doch nicht für alle Fans eine Unterkunft - oder der arme Mensch hat das Hotel einfach nicht mehr gefunden.
Die Atmosphäre beim "Public Viewing" ist super. Mich begeistern vor allem die farbenfrohen internationalen Fans:
Auch die bunten Kopfbedeckungen sind einen Blick wert.
1974 Stätte des deutschen WM-Triumphs, im Jahr 2006 zur Kulturherberge degradiert: Das Münchner Olympiastadion konnte bei der bisherigen WM nur mit Wehmut zu seinem Nachfolger, der Münchner Arena, blicken.
Jetzt rückt das "Oly" doch wieder in den Mittelpunkt. Das angrenzende Fan Fest-Areal soll ein zweites Mal erweitert werden, nachdem zuletzt schon eine zweite Leinwand und Platz für 4.500 zusätzliche Fans geschaffen wurde. Heißt konkret fürs "Oly": Bei den Viertelfinalspielen und dem Finale wird es geöffnet, mit Leinwänden versehen und 30.000 zusätzlichen Fans Platz bieten. Und jetzt kommt's: Derzeit wird geprüft, ob das Olympiastadion vielleicht schon zum Achtelfinale am Wochenende geöffnet wird. Ein Ex-WM-Stadion erlebt seine WM-Renaissance.
Wer allergisch gegen Gedränge in öffentlichen Verkehrsmitteln ist, für den ist die WM kein gutes Pflaster. Es sei denn, man ist - wie ich - notorischer Zuspätkommer. Mit dem Anpfiff stellte ich mein Auto auf einem riesigen Dortmunder P&R-Parkplatz ab, der zu diesem Zeitpunkt voller Autos aber nachvollziehbarerweise menschenleer war. Dafür freute sich der Busfahrer an der Haltestelle, dass er was zu tun bekam und startete mit seinem einzigen WM-Fahrgast sofort zum Stadion.
Ganz anders war die Situation übrigens nach dem Spiel Argentinien gegen Serbien-Montenegro in Gelsenkirchen. Alle Versuche, den südamerikanischen Besuchern klar zu machen, dass im Bus nun wirklich kein Platz mehr sei, waren vergeblich. Und die Argentinier hatten Recht: Ein paar Knuffe hier, ein bisschen Geschubse da und schon passten noch 10 Leute mehr hinein...
Wie wird ein böses Foul im Strafraum geahndet: Elfmeter oder Eckball? Wo findet das WM-Finale statt: Berlin oder Castrop-Rauxel?
Die Gewinnspiel-Redaktionen der TV-Sender überbieten sich in diesen Tagen mit dummen Quizfragen und noch schwachsinnigeren Antwort-Alternativen (dazu möchte ich allen diesen Text ans Herz legen). Den Vogel schoss, wie ich finde, bisher Oliver Pocher ab, der in seiner WM-Show auf Pro Sieben oder Acht folgende Frage stellte: Gegen welche Mannschaft bestritt Deutschland das Eröffnungsspiel: Costa Rica oder Costa Cordalis?
Au Mann!
Es ist so schön. Wir Deutschen können wieder lachen. Soviel Freundlichkeit, soviel Witz, soviel Feiern. Und so viele schwarz-rot-goldene Flaggen. Das habe ich das letzte Mal in den Tagen nach dem 9. November 1989 gesehen. Selbst die tristen Plattenbauten am Bayerischen Platz in Leipzig feiern mit. Jeder fünfte Balkon zeigt Flagge. Zu Gast bei Freunden – das Motto wird gelebt. Denn neben Schwarz-Rot-Gold sind immer wieder andere Flaggen unterwegs. Vielleicht sind es die Ausländer, die uns so anstecken, mit ihrer Freude und ihrem nicht aggressiven Nationalstolz. Deutschland wird wieder normal, ohne abzuheben. Toll.
Die Begeisterung über unsere Nationalelf kennt ja zur Zeit keine Grenzen. Der Wahnsinn vorm Berliner Mannschaftsquartier, den ich gestern erlebt habe, war wirklich weltmeisterlich. Soeben rief mich auch noch ein Freund an. Auch der geriet gleich ins Schwärmen. Ich habe ihn mal frech gefragt, ob er genauso laut jubeln würde, wenn Oliver Neuville gegen Polen nicht in letzter Minute getroffen hätte? Und schon druckste er ein wenig herum. Die Frage sei erlaubt: Wie brüchig ist dieser kollektive Optimismus, der zur Zeit im deutschen Lager herrscht? Was passiert, wenn die Klinsmann-Elf gegen Ecuador nicht den Gruppensieg einfährt. Werden wir dann wieder zum Volk der Nörgler und Pessimisten? Ich bin wirklich mal gespannt.
Die Fußball-WM macht die Frankfurter Skyline zur Plattform. Es fing mit der SkyArena an und jetzt wird der Platz auch für Transparente von Sponsoren genutzt:
Sollten sich die meteorologischen Ereignisse vom Sonntagabend wiederholen, erlebt das "Im-Wohnzimmer-vor-einem-stinknormalen-Fernsehgerät-WM-gucken" bei mir in den nächsten Tagen noch eine ungeahnte Renaissance. Denn bei aller Liebe zum Fußball: Was nutzt die tollste Leinwand, was bringt das schönste Open Air-Feeling, wenn im Augenblick des Anpfiffs der Himmel seine Schleusen öffnet? Mir jedenfalls waren die Herren Henry und Zidane plötzlich vollkommen egal. Stattdessen war Krisenmanagement angesagt: Wer rettet den Beamer? Wer die Stereoanlage? Und vor allem: Schnell vier Leute her, die die vier Ecken des Partyzelts sichern, während es von oben gießt wie aus Kübeln.
Als wir dann nach aber nach zehn chaotischen Gewitter-Minuten gleichmäßig durchnässt wieder im Trockenen saßen und über französische Männer fachsimpelten, deren Zeit abgelaufen ist, hab ich gedacht: Im Wohnzimmer wär es doch viiiiel langweiliger.
Ob Sie am Dienstagnachmittag gegen 16 Uhr Ihr Partyzelt nochmal abspannen sollten, erfahren Sie zum Beispiel
hier.
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