Heute war es endlich soweit: "Time to make friends". Heute habe ich mir die ersten gemacht. Es fing schon am Mittag in der Stadt an und setzte sich dann im Stadion fort. Neben mir saß ein mexikanisches Paar. Nach den ersten beiden Toren klatschte mich der weibliche Teil des Duos ab, nach dem dritten lagen wir uns in den Armen. Auf dem Nachhauseweg traf ich viele glückliche Mexikaner, die sich begeistert von Deutschland zeigten. Deutschland hätte in ihrer Heimat das Image, der griesgrämigen Miesmuscheln, die fleischgewordene Unfreundlichkeit quasi. Ok, genauso hatten sie's natürlich nicht formuliert, aber es ging zumindest in die Richtung. Jedenfalls meinten sie, dass dieses Bild ja überhaupt nicht stimme. Vielmehr seien wir total offen, freundlich und hilfsbereit. Und man könne mit uns gut feiern. Mein Gott, wenn sich das in der Welt herumsprechen sollte, dann hat sich diese WM tatsächlich gelohnt - selbst wenn wir nicht Weltmeister werden, aber das werden wir ja sowieso. Ach ja, was die Mexikaner noch klasse fanden: dass man bei uns auf offener Straße Bier trinken darf, das kennen sie von daheim nämlich nicht.
Irgendwie sind wir schon toll, oder?
So habe ich mir WM-Atmosphäre vorgestellt: Wenn das Spiel mal für ein, zwei Minuten verflacht, unterhält sich das Publikum kurzerhand selbst und lässt die La Ola durchs Stadion wellen. Auf der Tribüne gegenüber gibt die angolanische Blaskapelle alles, und rechts neben mirwird alles beklatscht, was sich auf dem Feld bewegt, ganz egal ob gerade Angolaner am Ball sind oder Portugiesen.
In der Reihe vor mir hat sich eine Frau als Ball verkleidet, inklusive Kunstrasen mit aufgeklebten Toren als Kopfbedeckung. Und als eine viertel Stunde nach Spielbeginn ein Hubschrauber hinter der Südtribüne startet, habe sicherlich nicht nur ich mich gefragt, wo Franz Beckenbauer jetzt schon wieder hin will. So, jetzt mal wieder Fußball gucken.
P.S.: Gruß an Kotti und Sascha, die draußen vor dem Eingang sitzen. Die beiden Kölner hab` ich kurz vor Spielbeginn auf der Wiese vorm Stadion außerhalb der FIFA-Bannmeile getroffen. Kleinen Grill dabei, lecker selbstgemachten Salat, kühles Bier und WDR2 im Radio. „WM-Atmosphäre schnuppern“ wollten sie und das Wetter schrie ja förmlich nach einer selbst gegrillten Wurst. „Das Feuerchen loderte schon, da kam so ein ‚Einmal-im-Jahr-bin-ich-wichtig-Ordner“, erzählte mir Kotti, "da mussten wir die Glut löschen". Wobei es ein bisschen ungerecht ist, dem Ordner deshalb böse zu sein, Kotti, wahrscheinlich hat er nur auf Befehl von Sepp B. gehandelt.
Hallo Stefan,
danke für den "netten" Bericht und das Foto. Unser Abend ist auch ohne Grillen noch sehr nett verlaufen :-)
Grüße aus Köln
Sascha & Kotti
Sascha am 13.06.06 13:17
Draußen ist es warm, im Zug ist es wärmer. Die Klimaanlage ist ausgefallen. Vier schwitzige Stunden Zugfahrt nach Köln. Na toll.
Enie van de Meiklokjes sitzt schräg hinter mir. Nein, von der WM hat sie noch nicht viel mitbekommen - Arbeit. Die ausgefallene Klimaanlage scheint ihr nichts auszumachen. Mir hingegen schon. Hinzu kommt eine bescheidene Internetverbindung und leere Batterien in meiner Kamera. Denkt euch das Foto von Enie einfach...
Die gute Nachricht: Es gibt noch Tickets für das Spiel Portugal – Angola. Die schlechte: Sie sind nur auf dem Schwarzmarkt vor dem Stadion zu bekommen und kosten mehr als das doppelte des regulären Ticketpreises. Und außerdem ist es offiziell verboten. Dumm zum Beispiel für die Gruppe von Engländern, denen kein noch so horrender Preis zu teuer war. Portmonee gezückt, gezahlt und noch bevor sie die ersehnten Karten in Händen halten konnten, war das Kölner Ordnungsamt zur Stelle. Doch viel Fans schrecken die Kontrollen nicht. „Spätestens fünf Minuten nach Anpfiff fallen die Preise und dann schlag ich zu“, erzählt mir ein älterer Herr mit Krawatte und Einstecktuch.
P.S.: An alle Kölner mit gut gefüllter Brieftascher: jetzt nicht noch loshetzen, das Risiko ist zu groß. Lieber schön entspannt zuhause vorm Fernseher gucken.
Mal fernab von Fussball & Co. : Ist das die aktuelle Schreibweise der französischen Geldbörse?! Dann distanziere ich mich spätestens jetzt von sämtlichen versuchten und durchgeführten deutschen Rechtschreibreformen! :)
Thomas , Köln am 15.06.06 17:14
Früher, ja früher da kostete der Milchkaffee hier noch 80 Pfennnig, vielleicht ne Mark. Da war die Fixerstube gegenüber auch noch da.
Mittlerweile ist die eine Seite der Straße ein Boulevard zum Sehen und Gesehen werden, die Drogenabhängigen vertrieben und der Milchkaffee heißt nun Galao, kostet das Doppelte, bei halbem Inhalt. Schöne Menschen, wohin man schaut. Schanzenviertel 2006.
Natürlich wird hier auch Fußball geschaut, allerdings weniger in bunten Trikots - man achtet sehr auf das Styling.
Auf der 'bösen' Seite des Schulterblatts ist sie aber noch, die Rote Flora, seit Jahren besetzt und mit allerlei politischen Parolen besprüht. Hoch oben weht die rote Flagge mit den Vätern der Bewegung darauf: Marx, Lenin und Trotzki.
Und, passend zur WM, wird auf ein alternatives antifaschistisches Fußballturnier hingewiesen. Die Begeisterung für diesen Sport wird also auf beiden Seiten der Straße geteilt, rechts wie links.
Frag doch einfach die Kids, wer Deutschlands tollster Fußballer ist. Habe ich gemacht. Auf dem Kreuzberger Bolzplatz an der Schleiermacherstraße. Ich wollte früher immer Günter Netzer sein. Der Fußball-Nachwuchs von heute schwört auf Michael Ballack. "Weil der gut aussieht", sagt Marten. "Weil der Teamgeist besitzt und klasse spielt", meint Sören. "Weil er sich gegen Klinsmann durchsetzen kann", findet Hannes. Auch an der Autogrammbörse fährt Ballack locker einen Kantersieg ein. 90 Prozent wollen seine Unterschrift zuerst. Auf den Plätzen: Oliver Kahn VOR Jens Lehmann. Und dann kommt die Frage, vor der ich gezittert habe: "Kannste uns Autogramme besorgen." Ich kann es nicht versprechen. Aber ich will gerne mal beim DFB nachfragen. Im Sinne der Nachwuchsförderung. Für die Weltmeister von 2018.
"So jetzt mal zurücktreten bitte! Wir woll`n ja nicht, dass der Bus sich in eine Sardinendose verwandelt, woll?" Elmar ist unüberhörbar Dortmunder und sorgt nach Ende der WM-Spiele im Dortmunder Stadion für einen geordneten Abtransport der Zuschauer zu den weit entfernten Park&Ride-Parkplätzen. In der Hand eine Liste, in die er seine abgefertigten Linienbusse akribisch einträgt, versucht er, den von der Zentrale vorgegebenen Zwei-Minuten-Takt halbwegs einzuhalten. Das gelingt natürlich nicht immer, "im Augenblick sinds`s eher drei Minuten, woll?" - vor allem nicht dann, wenn er von ratlosen Schweden oder Trinidadern auf Englisch bestürmt wird: "Tu se reelweeischtäschn sis wey! Hier only tu se Universitätsparkplatz".
Selbst im Augenblick des größten Ansturms bleibt Elmar freundlich, nutzt sein lang zurückliegendes Schulenglisch und wirft zwischendurch sogar typisch deutsche Verhaltensweisen über Bord: "Watt trag ich hier eigentlich in die Liste ein? Ist doch eh alles außerplanmäßig. Hauptsache die Busse kommen überhaupt..." Als dann wieder ein Schwung jubelnder Trinidader an der Bushaltestelle eintrifft, ist unser Gespräch ebenso freundlich wie abrupt beendet: "So, jetzt muss ich mich mal um den Sicherheitsbereich kümmern." Denn bei aller Liebe: selbst zu WM-Zeiten ist der Platz neben dem Fahrer freizuhalten.
Fanfest in Hamburg. Dort wo sonst im Sommer der Dom, also die örtliche Kirmes stattfindet, ist zur WM genauso ein Trubel. Und auch ein Bungeekran und andere Rummelbuden sind zu finden.
Schön ist, dass wirklich jeder hier herkommt, um die Spiele zu schauen. Gestern waren es wieder 50.000 Zuschauer, die sich auf der 80 Quadratmeter (!) großen Leinwand das Spiel Argentinien-Elfenbeinküste ansahen. Zwischen tanzenden Ivorern und kreischenden Argentinierinnen steht man leider unendlich lange am Bierstand an...
Ein paar Argentinier haben sich für "ihr" Spiel etwas nettes ausgedacht. Sie haben sich als WM-Elf der Argentinier von 1978 verkleidet: Kempes, Passarella, Ardiles, alle sind dabei. Toll!
Der anschließende Kiezbummel wurde dann doch noch etwas länger ;-) und endete früh morgens auf dem Hamburger Fischmarkt.
Was ist schlimmer, als eine halbe Stunde lang für Getränke anzustehen, während wenige Meter entfernt, aber hinter Mauern verborgen, ein WM-Spiel läuft? Wenn es in dem Augenblick keine Becher mehr gibt, wenn man endlich an der Reihe ist. Was nach schlechtem Scherz oder zumindest katastrophaler Organisation klingt, ereignete sich genau so beim Spiel Schweden gegen Trinidad/Tobago. Der Getränkeausschank während der WM wird von völlig anderen Anbietern durchgeführt, als von denen, die im jahrelangen Bundesligaalltag Erfahrung gesammelt haben. Die Folge: Völlig überfordertes Personal und erhebliche Schwächen in der Logistik.
Wer in der Schlange steht, kann beim schal werden der Biere zugucken (oder schmeckt diese amerikanische Plörre vielleicht auch frisch gezapft schon so?). Und während sich die Servicekräfte hinter der Theke gegenseitig auf die Füße treten, wird die Schlange länger und länger. Immerhin bleibt genügend Zeit um sich mit anderen Fans gemeinsam Fragen zu stellen: Warum eigentlich wird das koffeinhaltige Erfrischungsgetränk in mühevoller Handarbeit aus 0,5 Liter-Plastikflaschen in 0,5 Liter Plastikbecher umgefüllt? Und wer ist auf die verrückte Idee gekommen, die Ketchup- und Senfspender direkt vor den Kassen hinzustellen? Jede Wurstbesenfung verlängert die Wartezeit um gefühlte zwei Minuten. "Organisationsweltmeister werden wir jedenfalls nicht", meckert ein entnervter Fan im Gehen. Da ist das erste Drittel der zweiten Halbzeit bereits vorüber.
Erst am Dienstag rollt der Ball auch in Stuttgart. Aber das Fieber hat die Landeshauptstadt spätestens am Freitag erreicht. 40.000 auf dem Schlossplatz, ein Vielfaches in den Kneipen, Biergärten und Waldheimen.
Die „WM-Verweigerer“ sieht man nicht... klar, da wo ich bin, lassen die sich nicht blicken. Stattdessen jeder Zweite (mindestens!) im Trikot einer der Mannschaften oder zumindest im Shirt mit Fußball-Motiven oder so Sprüchen wie „Bern 1954 – 3:2“ oder „Kein Foul ist auch keine Lösung“.
„Gefühlter Spitzenreiter“ unter den beliebtesten Spielertrikots ist das Leibchen von Miroslav Klose, dicht gefolgt vom Oberteil eines Ronaldinho und Englands Wayne Rooney. Ich selbst wollte ja nie so eins anziehen, habe meine Meinung gestern Abend aber geändert. Ich will das Trikot von Shaka Hislop, dem Torwart von Trinidad & Tobago. Stark, was der alles gehalten hat! Würde ich tragen, ehrlich! Aber das ist wieder typisch: Hislops Dress gibt es nicht in der Kollektion des Herstellers... Oder lässt sich da vielleicht was machen?
Das war das unterhaltsamste, torchancenreichste, fröhlichste und vor allem farbenprächtigste 0:0, dem ich in meinem Fußballfanleben bislang live beiwohnen durfte. Und weil man ja nie weiß, inwieweit einem die Euphorie im Stadion nur etwas vorgaukelt, habe ich mich nach Spielende telefonisch bei Freunden Zuhause rückversichert: War das wirklich so gut? Kam die Stimmung vor dem Fernseher ähnlich enthusiastisch rüber? War das auch auf der Großbildleinwand solch ein blaugelbschwarzrotes Farbenmeer? Ja, wurde mir versichert, es war so.
Doch nur wer im Dortmunder Stadion dabei war, weiß wie es sich anfühlt, wenn einem ein Trinidad-Fan voller Freude seinen "Warriors"-Schlachtruf von hinten ins Ohr brüllt. Und nur im Schatten der Nordtribüne entschuldigen sich nach Spielende bärtige Wikinger (siehe oben links), dass sie aufgrund des Ergebnisses nicht aus vollem Herzen in die Kamera lächeln können. Ich möchte nicht wissen, wie diese Wikinger strahlen, wenn Schweden gegen England gewinnen sollte.
P.S.: Falls sich jemand wundert, warum ich von allem, was sich IM Stadion abspielt, KEINE Fotos veröffentliche: Fragen Sie Herrn Blatter.
lieber DON domke,
es ist mir eine freude deine kommentare zu lesen, auch wenn ich zugegebenermaßen neidisch auf deine akkreditierung bin. übrigens: coole konstruktion beim heimkino - respekt! das bier lief bestimmt auch besser als im stadion, oder?
PS: besonders gefreut hat mich aber deine einsicht, das bielefeld in der übernächsten saison wieder gegen burghausen spielt und der fc dann das schönste erstliga-stadion hat.
uwe am 12.06.06 10:49
Hallo Oliver,
hab gerade gelesen, Du bist Hamburger und bist gerade oben. Stamme auch von dort. Grüß mir unsere Heimatstadt.
Der Blogger aus dem Osten
Michael
Puh, endlich zuhause. Fußball kann anstrengend sein. Selbst, wenn man nicht mitspielt und selbst, wenn man nicht einmal zuguckt.
Wieso?
Ganz einfach. In Leipzig hatten die Geschäfte bis Mitternacht auf. Fußball macht's möglich, immerhin haben wir morgen - äh, heute - unser erstes Spiel. Da muss man doch was bieten. Ich wollte ja gar nicht. Meine Frau hat Schuld. Ganz schnell mal was einkaufen. Dauert auch nicht lange. Dachte ich. Doch....
Ich versteh nicht, weshalb wegen der verlängerten Einkaufzeiten die Verkäufer klagen und vor Gericht ziehen. Nein, eigentlich müssten wir Ehemänner klagen. Man kann doch nicht noch mehr Stunden am Wochenende öffnen und uns zwingen mit guter Mine zu bösen Spiel mitzumachen. Nein. Wir sind die eigentlich Benachteiligten! Doch welche Gewerkschaft klagt für uns?
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