Jens Nowotny schien vorbereitet auf diese Frage. Was die Gründe für die zunehmenden Unsportlichkeiten in der Bundesliga seien, wollte jemand vom Leverkusener am Rande des Fitnesstests wissen. "Es wird nicht unfairer, sondern körperbetonter gespielt", antwortete Nowotny. Man sehe es an seinem Spiel. Es käme eben vor, "dass man sich so durchsetzt, dass sich jemand verletzt." Das ist seine Meinung. Nicht nachvollziehbar ist dagegen folgende Nowotny-Erklärung: "Im Moment sehen in der Bundesliga eben sieben Kameras zu anstatt nur einer." Muss man deswegen einem Gegenspieler den Ellbogen ins Gesicht schlagen, so wie es Christian Wörns mit Stefan Kießling praktizierte?
Oliver Bierhoff jedenfalls ist besorgt über die jüngste Entwicklung. "Wir müssen die Spieler wieder zu mehr Ethik und Moral aufforden. Man muss genau unterscheiden zwischen gesunder Härte und Unsportlichkeit", sagte der Teammanager und will sich zu diesem Thema nun nach der WM mit DFL und DFB zusammensetzen. Dann gab's noch einen Seitenhieb auf Christian Wörns. "Bei ihm war es Nervosität", meinte Bierhoff. Ein anderer dagegen zeigte wenig Interesse an der Diskussion: Jürgen Klinsmann. "Wir sind der Liga dankbar, dass wir die Spieler noch einmal für anderthalb Tage hier haben. Da bleibt keine Zeit, solche Dinge zu besprechen", sagte Klinsmann. Der Bundestrainer hat eben zur Zeit andere Sorgen.
Fitnesstest der deutschen Nationalmannschaft: In einem großen Düsseldorfer Hotel hat Jürgen Klinsmann das Standquartier für die nächsten zwei Tage aufgeschlagen. Seit halb acht Uhr morgens warten hier die Frühaufsteher unter den Journalisten-Kollegen auf die Nationalkicker und sind erst einmal frustriert: Jens Nowotny wird erst am Nachmittag erwartet. Wieder warten auf den Mann, der plötzlich in den Fokus des Interesses gerückt ist. Oliver Bierhoff und Jürgen Klinsmann greifen der Ankunft des Rückkehrers vor und beziehen Stellung. "Die Fitness-Daten von Jens sind für uns besonders wichtig", erklärt Bierhoff. "Wir sind neugierig zu sehen, wie Jens Nowotny sich körperlich bei der WM präsentieren könnte", meint Klinsmann.
Er holt also einen Mann zurück mit vier Kreuzbandrissen und einem Spieltempo, das internationalen Ansprüchen nicht mehr genügt. In der Bundesliga vermag Nowotny noch ab und an zu glänzen. Doch welchen Stellenwert hat diese Spielklasse noch im Vergleich zu den Top-Ligen Europas? Nowotnys Leistungen in der Bundesliga können jedenfalls kein Maßstab mehr sein. Das Problematische: Es gibt offenbar keinen besseren deutschen Abwehrrecken. Manuel Friedrich vielleicht, von Mainz 05. Doch weil Klinsmann längst von seiner Philosophie abgewichen ist, die jungen Spieler zu protegieren, wird wohl nicht Friedrich einen Platz im Kader erhalten, sondern Nowotny. Vorausgesetzt, er hängt sich im Fitnesstest voll rein.
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