ICE 523 – Jens und ich sind auf dem Weg nach Hause. Was Jürgen Klinsmann wohl gerade macht? Wahrscheinlich hat er den Empfänger ausgeknipst und ist in Gedanken bei seinen Liebsten in Kalifornien. Aus Florenz hat er in einer großen Tüte zwei kleine Schuhkartons mitgebracht. Da werden seine Kids morgen früh aber Augen machen. Ist es nicht schön, der Bundestrainer kann über den Großen Ozean fliegen und das Chaos für ein paar Tage hinter sich lassen.
Wir knipsen den Laptop gleich auch aus. Was ich mitgebracht habe? Etwas was ich verloren geglaubt hatte: den Glauben an den Fußball in seiner reinsten, ursprünglichsten und nacktesten Form. Ich hatte vor meinem Abflug viel Negatives über die „Bruchbude“ Artemio Franchi gehört. Seit gestern Abend ist es für mich eines der schönsten Stadien der Welt. Der Grund: die Stille. Keine nervige Musik in der Stunde vor dem Anpfiff, nicht ein einziger Werbespot auf der Anzeigentafel, die Mannschaften laufen sich warm und du hörst die Fans, sie singen!
Und dann dieses Wahnsinnsspiel. Vierte Minute: Bumm! Sechste Minute: Bumm! Auch wenn es schwer fehlt die Fehlfarben der Trikots auszublenden. Vor unserer Tribüne steht ein Typ im Elvis-Kostüm und heizt die Menge an. Nach dem vierten Tor der Squadra Azzura feiern sie ihn mit „Forza Elvis!“-Rufen. Er lebt! Und der deutsche Fußball – er liegt auf der Intensivstation… Unser Zug rollt auf Köln zu, der Ausflug in die „nackte Wahrheit“ geht zu Ende. Grüße an deine Lieben Klinsi - ELVIS HAS LEFT THE BUILDING.
DFB-Zentrale an der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt. Die Pressekonferenz mit Jürgen Klinsmann und Joachim Löw ist gerade beendet. Wirklich viel kam nicht dabei herum. Es wird weiter gewurschtelt. Damit liegt die erste Dienstreise mit der Fußball-Nationalmannschaft hinter mir. Viel aufregender hätte der Start nicht sein können - so nah an der Mannschaft, noch dazu in einer inspirierenden Stadt wie Florenz. Es gab nette, fruchtbare Begegnungen mit vielen neuen Kollegen, viel zu sehen bei einem Bummel durch das historische Florenz und reichlich leckere Pizza, die in Italien natürlich besser schmeckt als bei uns.
Das einzige, was in den drei Tagen störte, war nur der Fußball. Dabei hatte unsere Vorfreude noch kurz vor dem Anpfiff ihren Höhepunkt erreicht. Die Blaskappelle intonierte auf dem Spielfeld feierlich die Nationalhymnen. 28.000 italienische Fans sangen mit und wedelten mit ihren Fähnchen. Dann machte es in den nächsten sechs Minuten zweimal patsch-patsch - Deutschland lag 0:2 hinten. Schon trudelten die ersten höhnischen SMS der Kumpels ein: "Duftes Spiel, das du dir zum Einstand ausgesucht hast". Wir dachten eher, dass kann doch nicht die Mannschaft sein, mit der wir uns in nächster Zeit so intensiv beschäftigen müssen. Der leere Auftritt ging seinen Gang. Zum Glück konnten wir uns anschließend wieder mit Arbeit beschäftigen - Interviews, Themenbesprechung und Berichte. Es bleibt die Hoffnung, auch mal über einen Sieg berichten zu können. Vielleicht sogar noch in diesem Jahr.
Wenn man die Jungs in Käfige sperrt, ist es ja kein Wunder, dass da nix bei rumkommt ...
Tim am 22.03.06 16:26
Wow! Das muss man erst mal sacken lassen... Was für ein Spiel, was für ein Desaster - so können wir uns bei der WM aufs Würstchenverkaufen beschränken. Nach einer sehr kurzen Nacht sitzen wir schon wieder am Flughafen und warten auf den Flieger nach Frankfurt. Auf dem Weg zum Flughafen nach Pisa (irgendwie der richtige Abflugort bei der aktuellen Schieflage) erreichte uns eine kleine Planänderung. Die gesamte sportliche Leitung, die bereits eine Stunde früher zum Flughafen aufgebrochen war, um nach München zu fliegen, nimmt gleich einen Anschlussflug in die DFB-Zentrale, um eine Sonder-Pressekonferenz abzuhalten.
Wir sind gespannt. Was haben sie jetzt vor? Rücktritt von Mannschaftsarzt Müller-Wohlfarth? Comeback von Christian Ziege? Keine Witze, die Lage ist ernst. Wahrscheinlich wollen Jürgen Klinsmann und Jogi Löw nur das noch einmal unterstreichen, was sie gestern schon angedeutet haben: "Es gibt keinen Kurswechsel, wir bleiben bei unserer Linie!" Nun gut, dann machen wir also weiter so. Würstchenverkäufer ist schließlich auch kein schlechter Job.
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